„Steininger“
steht auf dem knallroten Trikot, das der Verkäufer im Fan-Shop in den Händen
hält. Darunter prangt eine überdimensionale, schneeweiße 10. Die
Beflockung ist gelungen und Kiki bibbert beim Anblick des 80 Euro teuren
Fetzens vor Aufregung: „Oh, ich kann es kaum erwarten, es
anzuziehen.“ „Du
willst es doch wohl nicht jetzt gleich anziehen?“ „Natürlich“,
sagt Kiki. Entschlossen
streift sich meine Freundin das neue Trikot über. Sie hat es extra zwei
Nummern größer gekauft. Das macht man so. Im Winter müssen schließlich
mehrere Lagen Wollpullis und im Ernstfall sogar eine Daunenjacke
darunter passen, sonst erfriert man in der Kurve. Im Sommer sitzt das
Trikot dann eben etwas weiter und schlabberiger, was locker verkraftet
wird. Ein Fan denkt immer pragmatisch. Schönheit ist beim Fußball
zweitrangig. Es gibt leider immer mehr Weiber, die sich für ein
normales Bundesligaspiel aufbrezeln, als gingen sie zur
Michael-Ammer-Model-Night. Solche Frauen tragen grundsätzlich keine
Trikots, weil Trikots in ihren Augen nur etwas für kleine Kinder,
Proleten und langweilige Fan-Mädchen sind. Solche Frauen tragen grundsätzlich
Stiefelchen, Mäntelchen und Täschchen mit Wildlederriemchen und
Fellbesatz und NIE – NIEMALS – irgendetwas, das einen Hinweis darauf
gäbe, zu welcher Mannschaft sie eigentlich halten. Kein Schal. Keine Mütze.
Nicht mal ein Nickituch in den Vereinsfarben, das sich ja immerhin noch
Simone-Kahn-mäßig um den Kopf schwingen ließe. Bei solchen Exemplaren
ist erhöhte Vorsicht geboten. In der Regel verfolgt diese weibliche
Spezies bei ihrem Stadionbesuch nur ein Ziel: Gesehen zu werden! Solche
Frauen sind eiskalt und berechenbar. Sie gaukeln vor, sich für Fußball
zu interessieren, haben aber so wenig Ahnung von der Rückpassregel wie
Lothar Matthäus vom wahren Alter seines letzten One-Night-Stands. Sie
tauchen immer als Einzelkämpferinnen auf, nie als Gruppe, was verständlich
ist, denn Konkurrenz verdirbt das Geschäft. Und Fußball ist für sie
ein Geschäft. Nichts anderes. Geschäfte betreibt man natürlich nicht
in der Fan-Kurve. Das „Gesehen werden“ muss sich schließlich
lohnen. Deshalb geht man mindestens auf die Haupttribüne, besser noch
auf die Ehrentribüne. Und noch besser, man ergattert ein goldenes
Plastik-Armbändchen für den VIP-Club, wo man in der Halbzeit Reh und
Ente mit Limonenhäubchen essen und Grand Cru aus silbernen Eimern schlürfen
darf. Es soweit zu schaffen, ist nicht ganz einfach. Am Besten man hat
einen reichen Onkel, der Wurstfabrikant oder etwas Ähnliches ist, und
der den Verein schon seit 150 Jahren sponsert. Oder man kennt jemanden
vom Sicherheitsdienst, oder die Dame, die am Eingang die Armbändchen
verteilt. Denke ich zumindest. Ganz genau weiß ich es nicht, denn ich
kenne keines dieser „Möchte-gerne-gesehen-werden“-Mädchen persönlich.
Ich beobachte sie nur regelmäßig dabei, wie sie auf ihren Pfennigabsätzen
in den Ehrengastbereich rein- und wieder rausstiefeln. Zwei Wochen später
tauchen ihre Fotos dann im Tageskurier auf, weil sie den Durchbruch als
neue Freundin von Spieler XY geschafft haben, der gerade zufällig
verletzt war und sich in der Halbzeit im VIP-Raum bei den frittierten
Entenflügelchen herumgetrieben hat. Männer sind ja so leicht zu
manipulieren. Fußballer im Besonderen. Womöglich erzählen sie
hinterher noch stolz herum, dass sie ihre Freundin im Stadion kennen
gelernt haben und dass sie ja immer nach einem Mädchen gesucht haben,
das sich für ihren Sport interessiert. Das
ist meist die Stelle, an der Kiki und ich uns brüllend vor Lachen über
die Zeitung werfen. Sie interessieren sich für den Sport! Und nur für
den Sport! Für Dinge wie Rückpassregel, Tackling und Elfmeterschießen.
Für Pressing, Hattricks und indirekte Freistöße. Aber sicher doch!
Glauben wir sofort! Klingt auch sehr plausibel. Wie plausibel, das können
wir an einem Spieler namens Mirco Möller belegen. Er ist das jüngste
Beispiel. Mirco hat den Club zwar letzte Saison verlassen, daher liegen
die Ereignisse schon ein Weilchen zurück. Aber Kiki und ich können uns
darüber heute noch beömmeln. Der hyper attraktive, aber leider etwas dümmliche
Mirco war von Jonas Ingold aus disziplinarischen Gründen auf die Tribüne
verbannt worden. Bei einem seiner ersten halbzeitlichen Gastauftritte im
VIP-Raum stolperte er über High-Heel-Anna, die beste Freundin von Suska
Jähnekes. Suska ist die Tochter des dritten Club-Vorsitzenden und
Edelsponsors Otto Jähnekes. Anna hatte sich wohl irgendwann mal
ausgerechnet, dass ihre Freundschaft zu Suska bares Geld wert ist. Und
so ließ sie sich hin und wieder vom Sponsorentöchterchen zu
Heimspielen einladen. Am Enten-Buffet begegnete sie Mirco quasi zwangsläufig.
Der arme Kerl litt zu dieser Zeit unter argem Hormonstau, fühlte sich
auch sonst falsch verstanden und missachtet, da kam ihm die fesche Anna
mit den spitzen Schuhen und der Britney-Tolle gerade recht. Endlich
jemand, der ihn anhimmelte und ihn von seinen seelischen und körperlichen
Qualen erlösen würde. Und endlich mal eine, die „den Menschen“
Mirco Möller wahrnimmt und sich für Fußball interessiert. Dachte er.
Und Anna hatte leichtes Spiel. Sie wickelte Mirco mit drei Mal
Hand-durch-die-blonden-Haare-fahren und süßlichem Hihihi-Gekicher um
den kleinen Finger. Der Haken an der Sache war leider, dass auch Suska
ein Auge auf Mirco geworfen hatte. Lange Rede, kurzer Sinn: 1.)
Anna und Suska zerstritten sich damals bis aufs Messer und sprechen bis
heute kein Wort mehr miteinander. 2.)
Mirco und Anna wurden zunächst ein Paar. Das junge Glück hielt jedoch
nur schlappe vier Monate. Als Mircos Vertrag beim Club nicht verlängert
wurde, entschied sich Anna ihrerseits auch für eine Kündigung. Was
wollte sie mit einem arbeitslosen Fußballer? Sie wollte Fünf-Sterne-Urlaube
auf Mauritius und Homestorys im Tageskurier. 3.)
Mirco Möller kickt heute in der Oberliga und vertreibt sich die
Wochenenden auf Single-Schaum-Beach-Partys in Provinz-Diskotheken, die
„Splash“ oder „Fun“ heißen. 4.)
Anna tröstete sich erst mit unserem Torwart-Cutie Max Gronwald, dann
hat sie einem kanadischen Eishockeyspieler die Frau ausgespannt, danach
gab es ein medienwirksames Intermezzo mit einem TV-Moderator, und schließlich
landete das kleine Flittchen in den Armen von Tjalf Hoogmans (rechtes,
defensives Mittelfeld). Anna kehrte also quasi in den Schoß der
Club-Familie zurück und darf auf ihren Stilettos weiterhin ums
Enten-Buffet streunen. 5.)
Und Suska? Die träumt nur von einer Karriere wie Anna sie hingelegt
hat. Die futtert immer noch fleißig Limonenhäubchen und wartet darauf,
dass sich irgendein Club-Spieler ihrer erbarmt und sie die nächste
VIP-Stufe erklimmen und in das elitäre Spielerfrauen-Kränzchen
eintreten darf. Oh,
da werde ich echt neidisch. Kikis Trikot sieht richtig toll aus. Der weiße
Stoff glänzt edel in der Sonne. Aber für den Spaß hat sie auch sattes
Geld hingeblättert. Das kann ich mir echt nicht leisten. Wo ich mein
Konto doch gerade erst durch den Jeanskauf belastet habe. Zu dumm. „So,
jetzt brauche ich nur noch das Autogramm von Steini. Dann ist der Tag
gerettet“, sagt Kiki entschlossen, als wir über den Parkplatz zurück
zu meinem Twingo stapfen. „Das
musst du dir leider ohne mich organisieren. Ich muss diese Woche
dringend weiter an meiner Hausarbeit arbeiten“, blocke ich. „Och
Fabi, du bist langweilig“, mault Kiki, „es ist so tolles Wetter und
du verkriechst dich hinter Büchern.“ „Ich
muss“, sage ich, „sonst kann ich am Wochenende nicht mit zum Spiel
fahren. Außerdem schreibe ich auf unserer Terrasse, dann habe ich
wenigstens was von der Sonne und werde ein bisschen braun.“ „Aber
hier auf dem Trainingsgelände wirst du noch viel brauner. Wir könnten
sogar oben im Clubheim ein leckeres Zitroneneis essen und ganz nebenbei
auf das Nachmittagstraining warten.“ „Das
sind noch drei Stunden...“, protestiere ich. „Macht
doch nix. Wir haben Semesterferien. Und dein blöder Professor soll sich
mal nicht so anstellen. Dann schreibst du halt fünf Seiten weniger.“ „Du
hast gut reden“, sage ich, „der hat mir jetzt schon die Pistole an
die Brust gesetzt, weil ich nicht zu Potte komme. Und wenn ich weniger
als 20 Seiten schreibe gibt er mir den Schein am Ende nicht.“ „So
what?“ „So
what?“ schreie ich, „dann hab ich die Arschkarte gezogen und dann fängt
die ganze Kacke wieder von vorne an. Aber dir ist das ja egal. Ist ja
nicht dein Leben.“ „Hey!
Nicht so laut, die Damen, bitte, da kriegt man ja Ohrenschmerzen“, tönt
es plötzlich von der Seite. Kiki erstarrt zur Salzsäule. Tobias ist
aus seinem Auto ausgestiegen und sperrt, den Kulturbeutel unter den
linken Arm geklemmt und breit grinsend, die Fahrertür ab. Es
dauert mindestens fünf Sekunden, bis Kiki das Gefühl für ihre
Muttersprache wieder findet. Da ist Tobias aber schon in Richtung
Kabinen davon gerauscht. „Wie
peinlich“, hechelt sie, „mit dem habe ich ja so gar nicht
gerechnet.“ „Ich
auch nicht“, gestehe ich, „warum der wohl heute so früh hier
ist?“ „Ist
ja auch wurscht. Hast du das geile rote Polo-Shirt gesehen, das er an
hatte?“ „Nö,
ist mir nicht aufgefallen.“ „Das
war von Hugo Boss. Neue Kollektion.“ „Wie
schön. Aber ist das wichtig?“ „Das
zeigt nur, dass er einen guten Geschmack hat.“ „Du
meinst das nötige Geld.“ „Unsinn,
Boss-Shirts ist nicht so teuer. Außerdem würde ich Tobias auch in
H&M gerne mögen.“ Ehrlich
gesagt: ich auch. Könnte ohrfeigen, dass ich so ignorant tue. Natürlich
ist mir aufgefallen, wie ungeheuer gut Steini heute mal wieder aussieht.
Fast ein Grund, meine Pläne über den Haufen zu werfen. Warum auch
nicht? Es sind 29 Grad, Sonnenbrillen-Wetter, wir haben Semesterferien,
meine Figur kann ein fettes Eis mit Sahne bestens verkraften und auf dem
Rasenplatz werden gleich die schärfsten Waden der Stadt auflaufen.
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